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Schwäbischer Pietismus

Schwäbischer Pietismus

 

Der schwäbische Pietismus wurde insbeondere geprägt von Albecht Bengel und Christoph Öttinger.

Bengel und Öttinger gehören der zweiten Generation des Pietismus an. Johann Albrecht Bengel lebte von 1687 bis 1752, Christoph Öttinger von 1702 bis 1782.

In Württemberg war man nach den kriegerischen Auseinandersetzungen des spanischen Erbfolgekrieges, unter dem dieser Landstrich auf Grund seiner Nähe zu Frankreich besonders litt, offen für den Pietismus.
Der Lebensstil des württembergischen Grafen Eberhard Ludwig und seiner Mätresse, Frau von Grävenitz, wurde sehr mißbilligt.

Anders als in den meisten deutschen Landstrichen bekamen die Pietisten spenerscher Prägung in Württemberg ab 1693 großen Einfluß in kirchlichen Kreisen und hatten nicht wie andernorts mit dem Widerstand der Amtskirche zu kämpfen. Anhänger des Pietismus konnten in Württemberg in Staat und Kirche nahezu ungehindert ihrer Tätigkeit nachgehen und Einfluß nehmen.
In der Zeit vor 1693 gab es auch zahlreiche separatistische Zirkel, die ebenfalls zur Verbreitung der “Stund” beitrugen. Die Besucher der Stunden bezeichnete man als Stundenleute. Stund und Stundenleute wurden im Schwäbischen zu Allgemeinbegriffen, die aus dem gesellschaftlichen Leben nicht wegzudenken waren.
Bauern, Handwerker und Weingärtner gehörten dazu.

Bei den separatistischen Pietisten las man zum Teil die Schriften der französischen Mystikers Pierre Poiret, darüberhinaus Gottfried Arnolds “Geheimnis der göttlichen Sophia”. Ebenso wandte man sich den Schriften Taulers und Thomas a Kempis zu. Auch Böhme und Spener wurden gelesen. Ab 1690 tauchten die Schriften von Labadie und der Engländerin Leade auf.
Die puritanischen Erbauungsschriften, die im norddeutschen Raum gerne gelesen wurden, fanden hier wenig Rückhalt. Diese “lagen dem mehr spekulativ und nach innen gerichteten Geist der Altwürttemberger nicht.” (Beyreuther, S. 230)

Dagegen fanden quietistische Strömungen ihren Eingang.

Generell empfand man in schwäbischen Landen, dass das Heil eindeutig weniger in der Amtskriche zu finden sei, sondern vielmehr in Kreisen, die dem Glauben und der Inspiration den Vorrang gaben und sich unbefleckt dem weltlichen Treiben fernhielten. Tauler könne man ein Heimatrecht in der Kirche nicht verweigern, so die damalige Kirchenleitung, aber von den Schriften Böhmes riet man den Studenten ab.

Die Hofprediger in Stuttgart drangen, entsprechend der Halleschen Schule, darauf: am Krankenlager wie auch bei Sterbenden habe man auf eine kategorische Erklärung zu dringen, ob sie sich für bekehrt oder nicht bekehrt hielten. Auch soll der Pfarrer nicht zu schnell mit dem Trost bei der Hand sein.
Der Hofprediger Hedinger erklärte: “Wenn Christus der Hauptgrund sei, habe auch kein Wiedergeborener über den anderen ein Urteil zu sprechen, sich noch weniger zum Herrn und Richter seines Glaubens zu machen.” (Beyreuther, S. 236)

Württemberg hat sich den verschiedenen pietistischen Strömungen geöffnet, zuerst dem halleschen, dann dem zinzendorfschen.
 

Für die Pfarrer wurde die folgende Regel aufgestellt: Kein allgemeiner Weinausschank im Pfarrhaus, keinen Vielhandel, schwarze Kleidung, und auch der Putzsucht der Pfarrfrauen wurde entgegengetreten.

Durch Bengel und Öttinger hat der württembergische Pietismus seine ureigene Gestalt gewonnen. (Beyreuther. S. 240)

Teilweise warf man den Pietisten die Fenster ein und stürmte die Versammlungsräume, insbesondere die der Separatisten. Dem waren teilweise Warnungen der Amtskirche vor den Separatisten vorausgegangen. Separatisten mußten oftmals das Land verlassen.


Bengel

Bengel war in Winnenden geboren, lebte lange Zeit in Denkendorf, wo er am Kloster wirkte.
Vieles vom Lehrgebäude Böhmes lehnte Bengel ab. Jedoch befaßte sich Bengel auch mit dem Mystik, lehnte jedoch eine solche Mystik ab, die als Verschmelzungsmystik den Heilsweg von unten nach oben vorsah. Bei Bengel kommen sehr starke quietistische Neigungen zum Vorschein.

Bengel distanzierte sich vom Mystischen und warnte Öttinger davor: “er müsse vom Mystizieren herunter”. (Beyreuther, S. 245)

Bengel befaßte sich intensiv mit eschatologischen Fragen und errechnete anhand der Zahlen der Offenbarung, dass die Wiederkunft Christi am 18.6.1836 sei. Der erste apokalyptische Engel ist nach Bengel Johann Arnd, der zweite Spener. In der evangelischen Orthodoxie war Luther der erste Engel.
Später befasste sich Bengel mit der Umlaufgeschwindigkeit der Himmelskörper, die er aus den Zeitangaben der Offenbarung zu ermitteln hoffte. Dies konnte nicht gut gehen. Hier scheint Bengel unklare Linien verfolgt zu haben.

Im Berufsleben bewährten sich die Pietisten durch Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und Fleiß. Dazu  hielt Bengel seine Zuhörer unermüdlich an.
Bengel hielt in Herbrechtingen selbst Stunden ab und fuhr damit auch nach seinem Umzug nach Stuttgart fort.

Die württembergische Kirche gab einen Erlass heraus, wonach die Stunden nicht zur Zeit der kirchlichen Gottesdienste stattfinden sollten, nicht die Feldarbeit hindern sollten und der Pfarrer genau informiert sein sollte. Ehegatten sollen nur mit gegenseitigem Einverständnis daran teilnehmen. Ortsfremde, die dem Pfarrer nicht bekannt waren, durften nicht an den Stunden teilnehmen. Frei zu beten und die Bibel auszulegen, sei ohne Anwesenheit des Pfarrers nicht erlaubt. “Dunkle, ungeprüfte, mystische Lehren und Reden über Gebrechen der Kirche hätten zu unterbleiben. (Beyreuther, s. 257)
Auch solle man deutlich unterscheiden zwischen landeskirchlichen und separatistischen, schwärmerischen Pietisten.
Man strebte eine enge Umklammerung mit dem Ortspfarrer an und von kirchlicher Seite wurden alle Informationen über die Stundenleute gesammelt.

Bengel war inzwischen zum entschiedenen Gegner Zinzendorfs geworden. Dadurch konnten sich die sozialen und missionarischen Impulse der Brüdergemeine in Württemberg nicht entfalten. Erst 1806 gab es als sichtbares Zeichen der Annäherung die Gründung der Herrnhutschen Siedlung Königsfeld im Schwarzwald.

Bengel betätigte sich auch politisch und plädierte für die Anerkennung des Guten, das die Obrigkeit tat, aber auch für gemeinsamen Protest der Kirche bei Ungerechtigkeiten.
Beispielsweise wurde der Lebensstil des württembergischen Herzogs Eberhard Ludwig und insbesondere seiner Mätresse Frau von Grävenitz  sehr missbilligt
Stets plädierte er dafür, in der Schrift zu prüfen, “ob’s sich’s also verhielte”.
Stark war auch sein Einfluß auf das Wirtschaftsleben in Württemberg, was mitveranwortlich dafür war, dass sich hier kein radikales Proletariat herausbildete.
Im Jahr 1752 starb Bengel.

Die Zeit des volkstümlichen Pietismus begann mit der Erweckungsbewegung (Zeit nach Bengel).

Von den Stunden in Württemberg gingen bedeutende Impulse auch in die Ukraine aus, wo die Bewegung des Stundismus entstand.


Öttinger

Nach Bengels Tod nahm Öttinger die zentrale Stelle im Pietismus in Württemberg ein.
“Damit brach die spekulativ-theosophische Richtung, an altwürttembergische Tradition anknüpfend, neu auf und prägte den Pietismus auf seine Weise mit.” (Beyreuther, S. 267)

Öttinger wurde 1702 in Göppingen geboren. Er entschloss sich zum Theologiestudium und wurde mit den Lehren der Philosophen Leibnitz und Wolff konfrontiert.
Von entscheidender Bedeutung für ihn wurden die Schriften Böhmes: “Kein anderes Ereignis seines Lebens hat auf die geistige Haltung Öttingers mehr eingewirkt als jener Nachmittag, da ihm der sonderbare Pulvermüller den Böhme aus dem Versteck holte. Nun kam er für sein ganzes Leben nicht mehr von dem ‘deutschen Philosophen’ los.” (Beyreuther, S. 267)
Das heilsgeschichtliche Zeitmodell Bengels vertrat er überall mit Begeisterung.

Öttinger pflegte engen Kontakt mit Rabbinern: Ein anderes Hilfsmittel welches ich gebraucht habe, die Theologie ab ovo zu studieren, waren die Rabbiner und die Philosophie, so sie aus der Heiligen Schrift gezogen.” Dabei stieß er schnell auf die Kabbala. Er lernte den besten Kenner der Kabbala, Cappel Hecht aus Frankfurt, kennen, der sich in der Theosophie auskannte.
Er warnt vor Bekehrungssucht und Kreuzflucht.
Er suchte Berleburg, das Zentrum mystisch-spiritueller Kreise auf. Dort lernte er durch den Mystiker Charles Hektor von Marsay (1688 - 1753) die Gedankenwelt der französischen Mystikerinnen, besonders die von Frau Guyon kennen.
Landeskirchliche Frömmigkeit scheint ihm zu durchschnittlich, zu bürgerlich wohltemperiert, zu wenig hingegeben an die Christusnachfolge.

1735 veröffentlicht er die Schrift: “Abriß der evangelischen Ordnung zur Wiedergeburt , worinnen die schriftgemäße Einsicht und Ausübung der wahren evangelischen Mystik oder des Geheimnisses des Evangelii nach den vier Stufen der Wiedergeburt gezeigt wird, vorgelegt von einem ermüdeten Weltweisen, der auf die Wiedergeburt wartet”. (Beyreuther, S. 271)

Öttinger war Anhänger der Allversöhnungslehre. Es entstand ein quasi neuplatonisches System. Er spricht vom “letzten Grad der mystischen Vereinigung” Beyreuther, S. 273)
1737 erhielt er die Pfarrgemeinde Hirsau, 1743 die Pfarrgemeinde Schnaitheim bei Heidenheim. Später war er in Waldorf. Die Besoldung dort reichte aus für Experimente in Chemie. Chemie und Theologie sind für Öttinger ein Ding. Öttinger will wissen, wie Gott und Welt zusammenhängen.
Die Alllebendigkeit der Schöpfungswelt wird postuliert. Damit steht er zugleich in einer Denkertradition, einer Naturphilosophie, die von Cusanus über Paracelsus und Kepler, wie auch über Jakob Böhme, die Kabbala und schließlich bei ihm und über ihn zu Hamann, Herder, Goethe und die Romantiker und von dort aus inspirierend bis in die Theologie und Philosophie der Gegenwart reicht.” Für Öttinger vollzieht sich damit zugleich ein Anschluß an die Philosophie der Alten, der Denker der Antike, der großen Griechen. (Beyreuther, S. 277)
Schließlich wurde er Dekan in Herrenberg.
Er gibt das Buch “Swedenborgs und Anderer irdische und himmlische Philosophie” heraus.
In einer weiteren Schrift versuchte er die Bildtafeln auszulegen, die Prinzessin Antonia in der Kirche von Bad Teinach hatte aufstellen lassen. “Diese Tafeln waren sakrosankt, denn unter ihnen hatte sie nach ihrem Tode ihr Herz in einer Kapsel unterbringen lassen. Diese Lehrtafeln benutzte Öttinger, um sie nach den Erkenntnissen der Kabbala auszudeuten (Beyrether, S. 281)
“Die geheime Grundfrage, die Öttinger von Kindheit an bewegt hat, lautet für ihn: Wie steht es mit dem dunklen Bereich des Todesreiches.” (Beyreuther, S. 282)

Öttinger tritt voll für die Allversöhnungslehre ein. Michael Hahn übernimmt diese Lehre und auch Öttingers Eschatologie.

Goethe, Fichte und Schelling beschäftigen sich mit dem Gedankengut Öttingers. “Schelling läßt in den Theosophischen Spekulationen seines Spätwerks die gottentfremdeten Seelen emporgeläutert werden.” (Beyreuther, S. 284)
Folge der Lehre Öttingers: die Vorstellung von Himmel und Hölle werden relativiert. Wesley baute dagegen die Hölle mit Wucht in seine Lehre ein.

Schließlich erhielt Öttinger von der Kirchenleitung Schreibverbot. Öttinger war an seiner letzten Station als Pfarrer angekommen, Prälat in Murrhard. Im April 1778 predigt er zum letzten Mal.
Im Februar 1782 stirbt er.
Den schwäbischen Pietismus hatte er in starkem Maß geprägt.

 

Sonstige

Ab dem Jahr 1715 entstanden auch Inspirations-Gemeinschaften, die vermutlich das Zungenreden kannten.
Darunter waren: der ehemalige württembergische Pfarrer Eberhard Ludwig Gruber (1665 - 1728) und der Pfarrersohn J. Fr. Rock (1678 - 1749) sowie sechs weitere Anhänger.
Die Inspirations-Gemeinschaften hatten starke Auseinandersetzungen mit Dippel und Edelmann, die anfangs zu den schwärmerischen Pietisten gerechnet wurden und aus der radikalen Mystik in die Aufklärung gerieten. (Beyreuther, S. 299 u. 304)
“Den Todesstoß erhielten die Inspirierten durch die Herrnhuter.” (Beyreuther, S. 304)
Nach jahrelangen, teilweise sehr freundschaftlich geführten Diskussionen, verabschiedete sich Zinzendorf. Damit wechselten auch zahlreiche Inspirierte ins Lager der Herrnhuter. Die Inspirierten wanderten vielfach in die USA aus.

Kurze Zeit später entstand wieder eine Philadelphia-Bewegung. Diese hatte in Berleburg ihre Zentrale. Diese Bewegung stand der Kirche nicht aggressiv, jedoch distanziert gegenüber.
In Berleburg gab man auch eine Bibelübersetzung und Kommentierung heraus. Darin sind allerdings auch Elemente der Sophienlehre und der Androgynenspekulation enthalten. (Beyreuther, S. 308)
Die philadelphische Idee ebbte nun zunehmend ab.

Auch der Pietismus als solcher verlor an Einfluß und Bedeutung.

Eine bedeutende Gestalt im Rahmen des schwäbischen Pietismus war noch Christian Gottlob Pregitzer. Er fand zahlreiche Anhänger, vor allem im Schwarzwald und gründete eine Bewegung, genannt die Pregitzer, die bis heute existiert.

Schlatter (1852 - 1938) und Karl Heim (1874 - 1958) sind ebenfalls bedeutende Pietisten.

“Heute entdecken die weltweit verbundenen evangelikalen Gruppen, auch der ‘charismatische Aufbruch’ zunehmend deutlicher ihren Traditionszusammenhang mit dem Pietismus.” (Beyreuther, S. 345)


Fazit

Der Pietismus ist eine sehr bedeutende geistliche Bewegung, die nachhaltige Wirkung auf das kirchliche und gesellschaftliche Leben entfalten konnte. Insbesondere gilt dies für den württembergischen Raum.
So positiv der Pietismus in seiner Gesamtheit zu sehen ist, so ist doch unverkennbar, dass es sehr kritische und zweifelhafte, ja sogar falsche Elemente in ihm gibt, insbesondere sind dies mystische Elemente, die von Jakob Böhme ausgehend in die Lehre und Verkündigung des Pietismus eingeflossen sind. Hier hätte - damals wie heute - eine klarere Abgrenzung erfolgen müssen.
Die Notwendigkeit einer Entscheidung für Christus wird teilweise ausdrücklich in der Verkündigung betont, andererseits aber nicht durchgehend eingehalten und zum Teil eher vernachlässigt.
Die Orientierung an der Lehre der Amtskirche hat insbesondere in der Tauffrage durch Festhalten an der Kindertaufe einen klareren Durchbruch verhindert. Von separatistischen Strömungen hat sich der etablierte Pietismus unnötigerweise distanziert.

Distanziert hat sich der deutsche Pietismus auch von den pfingstlichen Aufbrüchen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, was dann zur Berliner Erklärung führte, wo das Wirken des Heiligen Geistes in übler Weise abgetan wurde.

Der Pietismus weist Schwachstellen und Fehlentwicklungen auf, die bis heute noch nicht völlig beseitigt sind. Gleichwohl ist dem Pietismus  hinsichtlich der geistlichen und gesellschaftlichen Entwicklung sehr viel Gutes zu verdanken.

 

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